Sexuelle Aufklärung – Eine neue Herausforderung?
Die sexuelle Aufklärung ist der Teil der Erziehung, der Eltern und Lehrern häufig die meisten Schwierigkeiten bereitet. Hierfür gibt es mehrere Gründe: Einerseits erinnern sich die meisten Erwachsenen nicht an die eigene psychosexuelle Entwicklung. Eigene Erfahrungen können also nicht immer als Beispiele für den richtigen Umgang mit den körperlichen Veränderungen und Problemen herhalten. Andererseits ist das Thema Sexualität in Teilen unserer Gesellschaft wieder zunehmend schambesetzt. Religiöse und kulturelle Konventionen behindern erneut einen produktiven Austausch über die Tatsachen des Lebens. Wird die sexuelle Aufklärung zu einer neuen gesellschaftlichen Herausforderung?
Die Ergebnisse einer verfehlten Aufklärung sind vorhersehbar. Die Zahl von ungewollten Teenagerschwangerschaften mag zwar für den Moment ihren Höhepunkt überschritten haben, doch nehmen Infektionen mit sexuell übertragbaren Krankheitserregern wieder in einem bedenklichen Maße zu. Selbst wenn die reine Mechanik der körperlichen Liebe mittlerweile auch jüngeren Kindern bekannt geworden ist, liegt dieses weniger an einer fortschrittlichen und umfassenden sexuellen Aufklärung durch Lehrer und Erziehungsberechtigte, sondern häufiger an dem unkompliziert gewordenen Zugang zur Pornographie.
Sexuelle Aufklärung durch Pornographie?
Die von der BRAVO-Studie 2009 veröffentlichten Zahlen sollten zu denken geben. 69% der Jungen im Alter von 13 Jahren gaben damals an, bereits Pornographie konsumiert zu haben, immerhin 8% taten es regelmäßig. Bei den 17jährigen Jungen gaben 80% den Pornokonsum zu. Bei den Mädchen liegen die Zahlen zwar mit 43% bei den 13jährigen deutlich niedriger, sind aber nichts desto weniger immer noch überraschend hoch. Knapp zehn Jahre später dürften sich diese Zahlen sogar noch einmal verschärft haben.
Auch wenn es in allen Kulturen seit jeher pornographische Abbildungen, Objekte oder Schrifttum gegeben haben mag, so war der Umgang mit diesem Teil des menschlichen Lebens den Erwachsenen vorbehalten, die einen solchen Konsum, so die vorherrschende Meinung, ohne seelische Schäden genießen können. Anders jedoch steht es um die Wirkung pornographischer Bilder auf die psychosexuelle Entwicklung von Kindern und Heranwachsenden. Während ein Erwachsener nicht nur um die Freuden seiner Sexualität weiß, die zu empfinden er in einem mehr oder wenigen langen Prozess erlernt hat, weiß er auch um die Künstlichkeit und Emotionslosigkeit seiner Darstellung, auch wenn hier deutlich unterschieden werden muss. Pornographisch sind Abbildungen dann, wenn sie die so dargestellt Handelnden auf bloße eine bloße körperliche gefühlsleere Aktivität reduzieren und damit im Umgang miteinander ihrer Menschlichkeit beraubt zeigen. Anders als erotische Darstellungen führt die Pornographie keine Menschen vor, sondern triebhaft reduzierte, vor allem weibliche Fleischmaschinen. Einem Heranwachsenden, der durch Darstellungen dieser Art mit der mangels eigener Erfahrung unbekannte Welt der Sexualität konfrontiert wird, muss sich der Eindruck aufdrängen, dass die Welt der Erwachsenen, zu der er über kurz oder lang gehören wird, von emotionaler Kälte bestimmt wird, in der Menschen sich gegen- und wechselseitig als willenlose Sexualobjekte in jedem Moment ihres Daseins zur Verfügung stehen. Je nachdem als wie widerstandsfähig sich ein solches Kind erweist, vermag es die überschwemmenden Bilder erfolgreich zurückzudrängen, in vielen Fällen erliegt er ihnen jedoch.
Amateure?
Nachdrücklich sei an dieser Stelle auf die stetige Verbreitung von selbstgefertigter Amateurpornographie von Jugendlichen für Jugendliche verwiesen: Diese kursiert nicht nur im Internet, sondern wandert vor allem auf Schulhöfen von Handy zu Handy. Die harmlose Umschreibung als amateurhaft verschleiert hierbei die Tatsache, dass diese Produkte nicht selten ohne Wissen der Dargestellten oder unter Einsatz von körperlicher oder psychischer Gewalt entstanden sind. Es handelt sich mithin nicht um die Produkte einer harmlosen Experimentierfreude von Heranwachsenden, sondern um Zeugnisse sexueller Gewalt, die auch strafrechtlich als solche behandelt werden müssen. In der Konsequenz bedeute dies, dass die sexuelle Aufklärung nicht nur nicht der Pornographie überlassen werden darf, sondern dieser aktiv, kritisch und offen entgegen getreten werden muss. Verharmlosungen, die darauf hinweisen, dass Bilder Kindern nicht schaden können, dass Jungen eben Interesse an Pornographie haben und dass man ohnehin gegen die technische Entwicklung wenig machen kann, erweisen sich als fataler pädagogischer Fehler. Was also tun?
Sexuelle Aufklärung
Wie häufig erweisen sich Immanuel Kants Worte als der Situation angebracht: Zunächst einmal muss die selbstverschuldete Unmündigkeit der Erziehungsberechtigten angemahnt werden, die aus Faulheit dem Smartphone, welches mittlerweile das Hauptmedium zur Verbreitung von Pornographie geworden ist, einen zu großen Raum im Leben ihrer Kinder gestatten. Ein solches Gerät ist jedoch weder unvermeidbar noch unverbietbar. Es existieren durchaus kindgerechte Mobiltelefone, die den gewünschten fernmündlichen Kontakt mit dem Nachwuchs gestatten, ohne dass sie diesem gleichzeitig eine unkontrollierbare Bilderflut bereitstellen. Der Gebrauch von Computern im heimischen Bereich kann kontrolliert und zensiert werden. Und stoßen wir uns an dieser Stelle bitte nicht an dem Begriff der Zensur: Man würde Kinder auch nicht ohne vorherige Verkehrserziehung durch eine unübersichtliche Großstadt laufen lassen. Schulen können den Gebrauch von Mobiltelefonen verbieten, die Behörden können die Verbreitunng von Pornographie unter Jugendlichen verfolgen.
Als das stärkste und wichtigste Mittel der Pornographisierung entgegen zu treten erweist sich jedoch das offene Gespräch zwischen aufgeklärten Erwachsenen und neugierigen Kindern. Je offener, ehrlicher, humorvoller, gefühlvoller und menschlicher eine solche sexuelle Aufklärung stattfindet, desto weniger wird die menschenfeindliche Bilderflut ihre Wirkung entfalten können.